brain lab/politik
2000-02-08 00:40:57
Thema bla bla
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Klar und deutlich
 
Was bleibt von Viktor Klima? Eine Sprechblase



"Den Menschen in unserem Lande" muss "mit aller Klarheit und Deutlichkeit" mitgeteilt werden, dass es jetzt nicht an der Zeit sei, "Forderungen zu stellen", vielmehr "soll jetzt jeder" - vermutlich klar und deutlich - "sagen, was er eigentlich will."

Dieser hier aus dem Gedächtnis zitierte Höhepunkt politischer Sprachkultur, am 20.1. in diversen ZiBs abgesondert vom Großmeister der (von Spindoktoren vorgefertigten) Sprechblase, V. Klima, zeigt "mit aller Klarheit und Deutlichkeit" eines der Hauptprobleme der soeben abgetretenen politischen Kaste: ihre Sprachlosigkeit. Man könnte das obige Zitat durch beliebig viele andere der letzten Jahr(zehnt)e ersetzen, gemeinsam ist ihnen allen ein Merkmal: ihr Inhalt ist verkehrt proportional zu dem explizit vorgetragenen Anspruch, nämlich "klar und deutlich" sein zu wollen. In Wirklichkeit bleibt eben alles im Unklaren, Festlegungen werden aus Hin- und Rücksichten gescheut wie Hostaschs Umarmungen (allerdings viel erfolgreicher), sodass Substanzuntersuchungen einen Wert kleiner gleich Null ergeben. Bis auf den ORF, dem Leeraussagen allemal noch wertvolle (wie viel zahlt Prodixan für 20 sec?) Sendeminuten wert sind, wird kaum jemand solchen Phrasen irgendeinen Wert beimessen. Reden um des Redens willen, Logorrhoe, um präsent zu sein - das ist zu einem Rollenspiel geworden, dessen Sinn niemandem mehr fragwürdig scheint. Die Folge sind sinnlose Interviews, Pressekonferenzen, Presseaussendungen u.s.w.

Wer hierbei mitmacht (z.B. als Konsument), trägt zu einer Entwicklung bei, die vielleicht am besten anhand des folgenden psychologischen Phänomens erklärbar ist: Wenn man über einen langen Zeitraum keine oder kaum Sinnesreize verarbeiten kann, weil man im Zustand der Deprivation lebt (leben muss), wird man bald jeden, in einer anderen Lebenssituation auch noch so entbehrlichen oder gar widerwärtigen Reiz begierig aufgreifen und dankbar dafür sein, überhaupt etwas empfinden zu können. (Zuletzt wurde dieses "Stockholm-Syndrom", das auch der "Gehirnwäsche" zugrunde liegt, von J. Ph. Reemtsma in seinem empfehlenswerten Buch über seine Entführung und Geiselhaft, "Im Keller", beschrieben.)

Auch "die Menschen in unserem Lande" - so scheint es - sind nach langer Reizdeprivation süchtig nach eindeutigen, kantigen Worten und wählen in immer höherem Ausmaß einen, der dieses Defizit ausgleicht und ihnen nicht nur formal, sondern auch inhaltlich "klar und deutlich" sagt, wohin die Reise geht.

Welche Schlüsse ergeben sich aus dieser Entwicklung? Es lässt sich nicht verhindern festzustellen, dass viele österreichische Journalisten, vor allem diejenigen, die Interviews zu führen haben, an dieser Misere mitschuld sind. Interviewen hieße schließlich einerseits Antworten einfordern und leere Aussagen weder zu senden noch zu drucken bzw. als Dokument der Hilflosigkeit und nicht als business as usual zu präsentieren, andererseits dort, wo inhaltlich Relevantes auftaucht, "Ideologiekritik" zu betreiben, also die unausgesprochenen Implikationen offenzulegen und das Gesagte auf seine Folgen hin zu untersuchen. (Vgl. B. Brecht: "Wem nützt dieser Satz? Wem zu nützen gibt er vor?") Da aber auch ZiB-Reporter unter Hin- und Rücksichten leiden, ist dieses Minimum an Berufsauffassung für sie ein unerreichbares Maximum. Längst hat sich in ihren Köpfen jene Selbstverständlichkeit im Umgang mit Leerformeln breit gemacht, die sie gar nicht mehr nachdenken und im wahrsten Sinn des Wortes nachfragen lässt.

Ist eine Änderung zu erwarten? Dazu müsste selbstständiges Denken zu einem gesellschaftlich akzeptierten Wert werden und nicht als verdächtig gelten. Wir werden also auch in Zukunft damit leben müssen, dass Fragen einfach nicht beantwortet werden und sowohl der Interviewende als auch der Konsument diesen Umstand akzeptiert. Vielleicht wäre es ohnehin sinnvoller, sich einmal mit dem zu befassen, was "in unserem Lande" de facto passiert, als mit dem, wovon (nicht) geredet wird.

 Thomas Knob
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Geposted am 2000-02-10 23:44:02 von Walter A.
Titel:Einmal ausgebrochen, nicht mehr zu bremsen

Jetzt gehts sogar schon in anderen Lagern los mit der "Klar und deutlich"-Manie. Gewerkschafter verwenden diese Phrase munter weiter, aber mittlerweile sogar VPler (Benita Ferrero-Waldner bei OSZE-Konferenz- Eröffnung). Anscheinend merken nur wir Cycamp-Leser und -Schreiber sowas.


Geposted am 2000-02-10 15:11:35 von Robert S.
Titel:Klaro

Endlich jemand, der sich traut, klar und deutlich zu sagen, was sich ich, als Bürger dieses unseres kleinen, aber schönen Landes, dieser unserer Heimat wie wohl die meisten anderen anständigen Bürger in unserer stabilen Demokratie, das zu vertreten, wofür wir immer schon eingetreten sind mit aller Deutlichkeit eindringlich hinzuweisen. Ich danke und hoffe auch in dieser historischen Zukunft auf eine innovative konstruktive Zusammenarbeit aller in der Redaktion vertretenen Persönlichkeiten ungeachtet ihres Charakters im Interesse von uns allens.



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