brain lab/politik
2000-04-20 02:35:39

Sapere aude!
 
Prolegomena zu einer jeden zukünftigen Pensionsreform

 

In Zukunft (ab 1.1.2003) sollen Beamte und ASVG-Versicherte also 18 Monate länger Dienst machen. Schon ab 1.10.2000 wird das Antrittsalter um zwei Monate pro Quartal hinaufgesetzt. Außerdem werden lineare Abschläge bei Frühpensionisten erfolgen, die Pensionsbeiträge erhöht sowie einige Begleitmaßnahmen wie die Abschaffung der vorzeitigen Alterspension auf Grund geminderter Arbeitsfähigkeit oder eine vorübergehende Ausdehnung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld von 52 auf 78 Wochen umgesetzt werden. Letztere Maßnahme soll offenbar die Tatsache abfedern, dass ältere Arbeitnehmer häufig entlassen werden, da für sie die Arbeitskosten besonders hoch sind. Die Hälfte der Frührentner war ja vor ihrer Pensionierung arbeitslos.
 
Was ist von einer solchen Vorgehensweise zu halten?
 
Eines ist klar: Das Mitleid der österreichischen Bevölkerung wird sich vor allem, was die Beamten betrifft, in Grenzen halten. Dass die "Diener der Öffentlichkeit" gerade in dieser Öffentlichkeit seit längerer Zeit nicht gerade auf Wohlwollen stoßen, liegt daran, dass sie nach gängiger Meinung Privilegien genießen. Man muss in der diesbezüglichen Diskussion für Wahrheit und Klarheit sorgen. Natürlich stimmt es, dass Beamte - und Beamtinnen, die im Öffentlichen Dienst, auch was das Pensionsantrittsalter betrifft, gleichgestellt sind - (bis vor kurzem) 80% ihres Letztgehaltes oder sogar mehr an Pension bezogen, genauso wahr ist jedoch, dass sie nie eine Abfertigung erhielten und in ihrer Krankenkasse (BVA) immer schon 20% Selbstbehalt zu zahlen hatten. Die Gehaltsbestandteile sind nicht immer durchsichtig (gewesen) - legendär zum Beispiel die "Sprechzulage" der Staatsanwälte -, das 13. und 14. Monatsgehalt überhaupt Anachronismen aus einer Zeit, in der man dem Dienstnehmer nicht zutraute, sein Geld für Weihnachten und den Urlaub selbst einzuteilen. Kurzum, die Vergleichbarkeit der Beamtengehälter und -pensionen mit dem ASVG-Bereich war nur teilweise möglich.
 
Dies hätte man ändern können.
 
Die versprochene Angleichung ist allerdings mit der jetzigen Reform wieder versäumt worden. Wie schon bei der Rechtschreibreform und anderen Gelegenheiten war man wieder einmal zu wenig konsequent, zu feige, Grundsätzliches zu ändern (Warum nicht "Ältern" statt "Eltern"? Warum nicht zB über ein echtes Drei-Säulen-Modell - für alle - und/oder die Nachteile des jetzigen Solidarsystems wenigstens ernsthaft diskutieren?). Dies hätte bedeutet, dass man sich der Bewertung der Arbeitsleistung und ihrer Abgeltung stellt. Eine Forderung muss also lauten: Ungeschminkte, unzweideutige Gehälter und Pensionen für alle Arbeitnehmer. Vergleichbare Grundlage soll ein Monatsgehalt sein, das (steuerbegünstigte) Zulagen(un)wesen, das ja auch der Grund dafür ist, dass in Österreich über relativ hohe Lohnnebenkosten geklagt wird, muss auf wenige Ausnahmen eingeschränkt werden. Eine Gehaltserhöhung soll als solche ausgewiesen werden und nicht indirekt gewährt werden. (Die daraus resultierenden, jetzt künstlich kalmierten Konflikte - die Richter würden sofort selbst Forderungen stellen, wenn die Lehrer etwas bekämen und umgekehrt - kann man, wenn man konfliktbereit und -fähig ist, aushalten.) Eine zweite Forderung: Das Dogma von der Unantastbarkeit bestehender Verträge ist zu überprüfen. Ist es wirklich unzumutbar, Beziehern höherer Pensionen ebenfalls einen Beitrag abzufordern? Muss die Last wirklich ausschließlich von der arbeitenden (jüngeren) Bevölkerung getragen werden? Hier könnten sich echte kopernikanische Wenden ergeben.
 
Die grundsätzlichste aller Fragen ist aber wohl die: Brauchen wir überhaupt eine Reform? Auf den ersten Blick wirkt eine solche Fragestellung heute schon frivol. Demographische Gründe ließen uns keine andere Wahl, heißt es. Doch sind wir hier nicht Opfer zwar nicht angeborener, aber doch anerzogener Anschauungsformen, die wie eine Brille wirken und uns die Dinge nicht anders sehen lassen, als wir sie sehen?
 
Es gäbe noch andere Einnahmequellen. Genannt werden z.B. die 30 oder mehr Milliarden Steuerrückstände. Die wird man allerdings kaum mehr in die Hände bekommen, handelt es sich doch zum Großteil um konkursbedingte Außenstände, die einfach nicht mehr vorhanden sind. Abgesehen davon würde auch eine vollständige Einhebung einem Einmaleffekt gleichkommen, der nicht auf Dauer die Pensionskassen füllen kann. Doch wie ist es mit der Abschöpfung der immer steigenden Produktivität, die mit immer weniger (steuerzahlenden) Arbeitnehmern möglich ist? Die letzte Steuerreform hat, zum Teil auf Druck der Gewerkschaften, wertschöpfungsorientierte Abgaben (wie sie zB die Mehrwertsteuer im Vergleich zur Lohnsteuer darstellt) verstärkt. Man könnte sich hier aber ein noch viel radikaleres Vorgehen vorstellen (Stichwort Maschinensteuer, Produktivitätsabgabe). Unsere Gesellschaft wird sich entscheiden müssen, ob sie das will.
 
"Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen",  lautet also hier wie meist der nicht zu unterbietende Appell, vor allem, wenn es "nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes" liegt, wenn man nicht voran kommt und der "Leitung eines anderen" (zB der öffentlichen Meinung, wenn man Politiker ist, oder der Politiker, wenn man Staatsbürger ist) bedarf.

 Thomas Knob
© cycamp.at 2000