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Sapere
aude! Prolegomena zu einer jeden zukünftigen
Pensionsreform |
In Zukunft (ab 1.1.2003) sollen Beamte und
ASVG-Versicherte also 18 Monate länger Dienst machen. Schon ab
1.10.2000 wird das Antrittsalter um zwei Monate pro Quartal
hinaufgesetzt. Außerdem werden lineare Abschläge bei
Frühpensionisten erfolgen, die Pensionsbeiträge erhöht sowie
einige Begleitmaßnahmen wie die Abschaffung der vorzeitigen
Alterspension auf Grund geminderter Arbeitsfähigkeit oder eine
vorübergehende Ausdehnung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld von
52 auf 78 Wochen umgesetzt werden. Letztere Maßnahme soll offenbar
die Tatsache abfedern, dass ältere Arbeitnehmer häufig entlassen
werden, da für sie die Arbeitskosten besonders hoch sind. Die
Hälfte der Frührentner war ja vor ihrer Pensionierung arbeitslos.
Was ist von einer solchen Vorgehensweise zu halten?
Eines ist klar: Das Mitleid der österreichischen
Bevölkerung wird sich vor allem, was die Beamten betrifft, in
Grenzen halten. Dass die "Diener der Öffentlichkeit" gerade in
dieser Öffentlichkeit seit längerer Zeit nicht gerade auf
Wohlwollen stoßen, liegt daran, dass sie nach gängiger Meinung
Privilegien genießen. Man muss in der diesbezüglichen Diskussion
für Wahrheit und Klarheit sorgen. Natürlich stimmt es, dass Beamte
- und Beamtinnen, die im Öffentlichen Dienst, auch was das
Pensionsantrittsalter betrifft, gleichgestellt sind - (bis vor
kurzem) 80% ihres Letztgehaltes oder sogar mehr an Pension
bezogen, genauso wahr ist jedoch, dass sie nie eine Abfertigung
erhielten und in ihrer Krankenkasse (BVA) immer schon 20%
Selbstbehalt zu zahlen hatten. Die Gehaltsbestandteile sind nicht
immer durchsichtig (gewesen) - legendär zum Beispiel die
"Sprechzulage" der Staatsanwälte -, das 13. und 14. Monatsgehalt
überhaupt Anachronismen aus einer Zeit, in der man dem
Dienstnehmer nicht zutraute, sein Geld für Weihnachten und den
Urlaub selbst einzuteilen. Kurzum, die Vergleichbarkeit der
Beamtengehälter und -pensionen mit dem ASVG-Bereich war nur
teilweise möglich.
Dies hätte man ändern können.
Die versprochene Angleichung ist allerdings mit der
jetzigen Reform wieder versäumt worden. Wie schon bei der
Rechtschreibreform und anderen Gelegenheiten war man wieder einmal
zu wenig konsequent, zu feige, Grundsätzliches zu ändern (Warum
nicht "Ältern" statt "Eltern"? Warum nicht zB über ein echtes
Drei-Säulen-Modell - für alle - und/oder die Nachteile des
jetzigen Solidarsystems wenigstens ernsthaft diskutieren?). Dies
hätte bedeutet, dass man sich der Bewertung der Arbeitsleistung
und ihrer Abgeltung stellt. Eine Forderung muss also lauten:
Ungeschminkte, unzweideutige Gehälter und Pensionen für alle
Arbeitnehmer. Vergleichbare Grundlage soll ein Monatsgehalt sein,
das (steuerbegünstigte) Zulagen(un)wesen, das ja auch der Grund
dafür ist, dass in Österreich über relativ hohe Lohnnebenkosten
geklagt wird, muss auf wenige Ausnahmen eingeschränkt werden. Eine
Gehaltserhöhung soll als solche ausgewiesen werden und nicht
indirekt gewährt werden. (Die daraus resultierenden, jetzt
künstlich kalmierten Konflikte - die Richter würden sofort
selbst Forderungen stellen, wenn die Lehrer etwas bekämen und
umgekehrt - kann man, wenn man konfliktbereit und -fähig ist,
aushalten.) Eine zweite Forderung: Das Dogma von der
Unantastbarkeit bestehender Verträge ist zu überprüfen. Ist es
wirklich unzumutbar, Beziehern höherer Pensionen ebenfalls einen
Beitrag abzufordern? Muss die Last wirklich ausschließlich von der
arbeitenden (jüngeren) Bevölkerung getragen werden? Hier könnten
sich echte kopernikanische Wenden ergeben.
Die grundsätzlichste aller Fragen ist aber wohl
die: Brauchen wir überhaupt eine Reform? Auf den ersten Blick
wirkt eine solche Fragestellung heute schon frivol. Demographische
Gründe ließen uns keine andere Wahl, heißt es. Doch sind wir hier
nicht Opfer zwar nicht angeborener, aber doch anerzogener
Anschauungsformen, die wie eine Brille wirken und uns die Dinge
nicht anders sehen lassen, als wir sie sehen?
Es gäbe noch andere Einnahmequellen. Genannt werden
z.B. die 30 oder mehr Milliarden Steuerrückstände. Die wird man
allerdings kaum mehr in die Hände bekommen, handelt es sich doch
zum Großteil um konkursbedingte Außenstände, die einfach nicht
mehr vorhanden sind. Abgesehen davon würde auch eine vollständige
Einhebung einem Einmaleffekt gleichkommen, der nicht auf Dauer die
Pensionskassen füllen kann. Doch wie ist es mit der Abschöpfung
der immer steigenden Produktivität, die mit immer weniger (steuerzahlenden)
Arbeitnehmern möglich ist? Die letzte Steuerreform hat, zum Teil
auf Druck der Gewerkschaften, wertschöpfungsorientierte Abgaben
(wie sie zB die Mehrwertsteuer im Vergleich zur Lohnsteuer
darstellt) verstärkt. Man könnte sich hier aber ein noch viel
radikaleres Vorgehen vorstellen (Stichwort Maschinensteuer,
Produktivitätsabgabe). Unsere Gesellschaft wird sich entscheiden
müssen, ob sie das will.
"Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen
Verstandes zu bedienen", lautet also hier wie meist der nicht zu
unterbietende Appell, vor allem, wenn es "nicht am Mangel des
Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes" liegt, wenn
man nicht voran kommt und der "Leitung eines anderen" (zB der
öffentlichen Meinung, wenn man Politiker ist, oder der Politiker,
wenn man Staatsbürger ist) bedarf.
Thomas
Knob
© cycamp.at 2000
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